Sabine Affolter - Die Kunst, Schmerzen zu beschreiben
- Rob FillerCopywriter
Sabine Affolter fragte sich, ob man Schmerzen visualisieren kann. Dass sie damit eines Tages nicht nur ein spannendes Stück Design, sondern tatsächlich einen Beitrag zur Schmerztherapie leisten würde, hätte sich die Bernerin nicht träumen lassen. Der Creative Hub spielt dabei eine wichtige Rolle.
Sabine Affolters Geschichte beginnt genaugenommen bei ihrer Freundin Katja Rüfenacht. Katja leidet zu dieser Zeit, es ist das Jahr 2011, an chronischem Hüftschmerz. Da kommen beide auf die Idee, den Schmerz zu visualisieren, ihn grafisch auszudrücken. Ein starkes Thema für ihre Abschlussarbeit. Beide studieren Visuelle Kommunikation an der Hochschule der Künste in Bern.
Affolter rückblickend: "Wir haben dazu Schmerzpatienten befragt, liessen sie ihre unterschiedlichen Schmerzen beschreiben, ihren Charakter, ihre Merkmale. Wir wollten eine Art Phantombild des jeweiligen Schmerzes erstellen."
Aber die Ernüchterung kommt schnell: Es ist nahezu unmöglich. Schmerzen sind zwar höchst unterschiedlich in ihrer Art und Ausprägung – und dennoch nahezu unbeschreiblich. Was Sabine und Katja zu dem Zeitpunkt nur vermuten können: Genau dies ist ein Kernproblem der Schmerztherapie.
Noch weniger ahnen sie, dass sie mit einem Kunstgriff dieses Problem lösen werden. Affolter: "Wir drehten den Spiess um: Wir dachten uns Schmerztypen intuitiv aus und hielten sie grafisch fest. Hintergründige. Vordergründige. Hämmernde. Stechende. Wellenartige. Jede nur denkbare Art von Schmerz." Ihre Schmerzbilder entstehen dabei mit unterschiedlichsten Medien und Werkzeugen: Scanner, Fotoapparat, Designprogrammen, Filzstift, Papier und vielem mehr. Heraus kommt schliesslich eine Art morphologischer Kasten mit fast 300 Karten.
Mit diesem Set kehren sie zu den Schmerzpatienten zurück, und siehe da: Viele finden sich und ihre Schmerzen wieder. Einige Karten werden immer wieder ausgewählt, andere fast nie. Für Sabine beginnt ein spannender Lernprozess, wie ideale Schmerzbilder aufgebaut sein müssen. Sie dürfen weder zu einfach, noch zu komplex sein, weder zu eindeutig, noch zu offen. Das Projekt "Dolografie" (Dolor = lat. der Schmerz) ist längst mehr als nur eine Abschlussarbeit.
Sabine spricht mit Schmerztherapeuten und anderen medizinische Fachleuten. Das Interesse ist geteilt, aber die vielen positiven Rückmeldungen machen ihr Mut. Nach ihrem Master beschliesst sie endgültig, die Dolografie auf professionelle Beine zu stellen.
Gemeinsam mit Katja beantragt sie bei der Berner Design-Stiftung eine Unterstützung und kommt auf diesem Weg mit dem Creative Hub in Kontakt. Sie melden sich zum Programm "Creative Link" an.
Affolter: "Eine lehrreiche Zeit. Wir lernten, für unser Produkt die passenden Zielgruppen und Kanäle herauszufinden, ein Medienpaket zusammenzustellen, Fachzeitschriften mit gezielten Artikeln zu versorgen und vieles mehr." Katja Rüfenacht ist in dieser Phase noch dabei, wird sich aber später aus dem Projekt ausklinken, um sich auf ihren Hauptberuf zu konzentrieren.
Sabine ist entschlossen, das Unternehmen Dolografie weiterzutreiben. Das beim Creative Hub erlangte Wissen hilft ihr dabei, eine klare Entscheidung zu treffen: gegen ein allzu rasantes Wachstum, für eine qualitative Entwicklung. "Ich sehe mich nicht als klassisches Start-up, sondern als eine sich beständig entwickelnde, nachhaltige Unternehmung, in die man Vertrauen hat. Das ist mir sehr wichtig."
So seriös, dass inzwischen mehrere Therapeuten innerhalb wie ausserhalb der Schweiz die Dolografie fest in ihre Therapie integriert haben. Und so interessant, dass Sabine Affolter zu Vorträgen bei medizinischen Kongressen und pharmazeutischen Unternehmen eingeladen wird. Wohlgemerkt als Designerin.
Fast schon nebenbei gewinnt die Dolografie® bedeutende Awards: den Design Preis Schweiz, den Vermarktungspreis der Berner Design Stiftung, den European Design Award.
Design, dass im besten Sinne wirkt. Wir vom Creative Hub freuen uns schon auf die nächsten guten Ideen. Von Sabine wie von euch.